Sven Kemmler hat sich ein Buch gekauft. Einen richtig dicken Schinken. Ohne an die Folgen zu denken.
Denn jetzt hat er das Gefühl, es auch lesen zu müssen, obwohl es ungelesen ebenfalls gut im Regal aussähe. Aber mal im Ernst, wie lang kann so eine Lektüre schon dauern? Da muss Sven an Thomas Mann denken und er weiß: Es kann sich ewig ziehen!
Aber Lesen war ihm doch mal Lust, nicht Last. Hach, wo ist er hin, der Zauber? Die Stimme der Urgroßmutter, die den Räuber Hotzenplotz vorlas. Das Warten auf den Bücherbus. Der erste eigene Asterix. Der Versuch des Schullehrplans, die Freude am Lesen unter dem bleiernen Absatz der „Pflichtlektüre“ zu zermalmen, gefolgt von der Erkenntnis: niemals in seinem Leben wird der Mensch soviel von Literatur verstehen wie seine Deutschlehrer*innen. Doch dann die Befreiung, der Tag, an dem man merkt: „Hurra, ich kann lesen, was ich will! Und wenn’s mir passt, sogar als Video, hah!“
Fortan stellt man sich die wichtigen Fragen. Was will man lesen, was soll man lesen, was darf man lesen? Ist ein Buch noch Literatur, wenn darin ein Ork auftaucht? Handelt es sich heutzutage überhaupt noch um ein Buch, wenn es kein Krimi aus Dänemark oder Schweden ist? Und warum wird in Zeiten des Klimawandels ausgerechnet dort regelmäßig der Koran verbrannt, wo doch der Heizwert von Bibeln schon ob der Dicke viel größer wäre? Und apropos, wie soll man mit aus heutiger Sicht umstrittenen Autoren umgehen, wie Immanuel Kant oder Jamie Oliver?
Auch wandelt sich der Stoff, auf dem die Träume sind. Man liest vom Blatt, von der Kuhhaut, vom Marmor und vom kratzfesten Display, mal in 3-D, mal in 4K. Die Wirkung ist vielgestaltig. Seit in den Bahnen des Nahverkehrs nicht mehr Zeitung, sondern Smartphone gelesen wird, kann man morgens nun wieder die Gesichter seiner Mitmenschen sehen. Die Welt ist dadurch nicht schöner geworden.
Doch stets wird gelesen. Seit Anbeginn der Zeit wohnt uns der Wunsch inne, sich an Regentagen mit einem Heißgetränk aufs Sofa zu lümmeln und in einem Buch zu schmökern, das in fremde Welten entführt, mit dem man Wüsten vermisst und Dschungel durchquert, das einen lehrt, wie man Lachstörtchen bäckt, Raumschiffe fliegt, Vampire pfählt, Hexen rasiert, Prinzen vermöbelt, Hamster häkelt und Topflappen schwängert. Oder man blättert halt in den TV-Spielfilm.
In jedem Falle aber lernt der Lektürende. Es liest der Mensch, solang er strebt. Und dieses Kabarettprogramm strebt danach, aus den Stöcken, die so viele beim Thema „Bücher“ im Hintern haben, Lanzen zu schnitzen, um diese fürs Lesen zu brechen. Fröhlich, tiefgründig, zuweilen ganz gradheraus blöd und – im Rahmen der Möglichkeiten des Kabaretts – auch erotisch. Das ganze selbstredend mit geölter Vorleserstimme. Und sehr viel Herz. Kurz gesagt:
Ein Abend für alle, die sich (wieder) ins Lesen verlieben wollen.